Warum Albanien?
Wer mich kennt, für den sollte diese Wahl keine große Überraschung darstellen. Für alle Anderen: ich habe schon seit längerem eine gewisse Faszination gegenüber Ländern, die viele Leute wenig auf dem Schirm haben. Sehr weit oben auf dieser Liste liegen deshalb die Länder des (West-) Balkans, die für viele Leute noch immer ein großes Fragezeichen oder ein „Kroatien-Plus“ sind.
Dazu kamen die ganz praktischen Gründe einer Reise nach Albanien: Eines Tages konfrontierte mich meine Freundin mit Flugpreisen von unter 100€ für einen Return-Trip nach Tirana ab Stuttgart. Zudem schwärmte sie von den unglaublichen AirBnBs für wenig Geld, die ich so auch von anderen Ländern noch kannte. Aus dieser Pespektive ergab eine Buchung also nur Sinn.
Günstig, chaotisch und voller Charme – das hatte ich mir erhofft, als wir die Flüge gebucht haben. Meine bisherigen Erfahrungen in dieser Region in Serbien, dem Kosovo und Montenegro sowie den anderen ehemaligen Soviet-Ländern gaben mir eine gewisse Erwartungshaltung an dieser Stelle mit. Und trotz einer hartnäckigen Erkältung, die mich schon vor der Abreise erwischt hatte, sollte sich dieser Trip als absolut lohnenswert erweisen und meine Erwartungen voll erfüllen.
Tirana: Der erste Eindruck
Unser Abenteuer begann in Rinas, dem Flughafen von Tirana, wo wir direkt unseren Mietwagen übernahmen – ein unkomplizierter Start. Warum ein Mietwagen? Bei 25€ pro Tag für ein Auto von Sixt (in diesem Fall ein VW Taigo) rentiert sich die Miete praktisch schon im Vergleich zu Taxipreisen vom/zum Flughafen. Dazu die Möglichkeit ein Land flexibel kennenzulernen und unabhängig zu bleiben – was will ich mehr?
Unser Airbnb entpuppte sich als großzügige, luxuriöse Unterkunft, die uns mehr als positiv überraschte. Nachdem wir uns frisch gemacht und das Umfeld erkundet hatten, ging es in die Innenstadt. Die Taxifahrt wurde dabei schon zum Erlebnis: Unser Fahrer, der lange in Großbritannien gelebt hatte, erzählte uns auf Englisch über die Stadt und gab uns erste Tipps. Manche davon waren definitv relevanter als andere und sein konstantes Beharren uns seine Nummer aufzudrücken, „Falls wir mal raus aus der Stadt wollen“ ließ sich auch nicht durch das mehrfache Hinweisen auf unseren Mietwagen aufhalten.
Kulinarisch starteten wir mit Paninis und Rotwein – günstig, simpel, aber irgendwie genau richtig für den Moment. Und mit günstig meine ich nicht schlecht: Angesichts von Ambiente und Essensqualität hätte ich in Deutschland ein Vielfaches für die Erfahrung gegeben.
Später landeten wir noch in einer Bar, bevor wir gegen 2 Uhr erschöpft, aber glücklich ins Bett fielen.
Zwischen Chaos und Charme
Unser Plan für Sonntag war das Erkunden der Innenstadt Tiranas. Wir starten in den Tag in der lokalen Kaffeehauskette „Mon Chéri“ mit überraschend gutem Kaffee und belegten Broten.
An dieser Stelle mal einen kurzen Exkurz zur Kaffeekultur Albaniens – qualitativ irgendwo zwischen Italien und Deutschland – hat mich positiv überrascht. Kaffeehäuser sind überall im Stadtbild vertreten und die Ketten „Mon Chéri“ sowie „Sophie Caffe“ scheinen omnipräsent zu sein. Selten habe ich flächendeckend so guten Kaffee genießen können – wobei Albanien mir dafür nicht all zu bekannt erschien. Auf der einen Seite gibt es den Einfluss des Balkans, wo meine Erfahrungen bisher nicht für guten Kaffee sprechen. Auf der anderen Seite der osmanische Einfluss, wo Kaffee durchaus anders zubereitet wird. Nun eine Kultur der Milchgetränke zu finden (inklusive „Latte-Art“), überraschte mich sehr.
Danach ging es ins Einkaufszentrum „Toptani“, wo ich eine Entdeckung machte: die Marke „DeFacto“. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, das mein Reisegepack um ein paar Kleidungsstücke erweiterte. Die komplette Shopping-Tour raubte uns einen Großteil des Vormittags, doch hatten wir danach noch genügen Zeit für etwas Sightseeing. Das Stadtbild entsprach größtenteils meinen Erwartungen: eine Prunk-Straße, ein paar stark sowjetisch geprägte Bauten, ein bisschen Altstadt. Was ich nicht erwartet hatte, war top-moderne Architektur. Wo immer Gebäude neu entstanden, durften sich Architekten an Form und Fassade komplett austoben. Das Spiel mit Farben und Formen im Rahmen neuer Gebäude; ob Hochhaus oder Moschee, fand ich sehr beeindrucken. Vielleicht könnte sich das schnöde Deutschland hiervon eine Scheibe abschneiden.
Zu Mittag folgte ein Highlight: Das Fischrestaurant „Varkat“, empfohlen von unserem Taxifahrer. Es stellte sich als eines der besten Seafood-Erlebnisse heraus, die ich je hatte. Und das bei einem Preis, der fast schon frech günstig war. Für zwei Personen mit Vorspeisen, Hauptgängen und Wein zahlte ich unter 30€ – nicht pro Person; gesamt. Alleine für dieses kulinarische Erlebnis würde ich nach Tirana zurückkehren.
Das Hinterland – Tirana nach Burrel und zurück
Am Montag zog es uns raus aus der Stadt. Mit einer abklingenden Erkältung noch in den Knochen wollten wir nicht noch einen gesamten Tag auf den Beinen verbringen, also wurden kurzerhand am Vorabend ein paar Reiseoptionen hoch in die Berge geprüft. Als mir auf der Karte eine schöne, wenn auch sketchy anmutende Hängebrücke über eine Bergklamm angezeigt wurde, war die Route gesetzt.
Der Plan war eine Fahrt mit über die Autobahn raus aus Tirana und hoch bis zum Lumi Mat See. Von dort aus sollte es östlich bis zur Kleinstadt Burrel gehen, die wir in südlicher Richtung auf dem Weg nach Kruja verlassen wollten.
Das Abendteuer begann für mich in dem Moment, in dem wir die Autobahn verliesen. Schnell wurde die Straßenqualität schlechter, die Schlaglöcher mehrten sich und die Wege wurden immer enger. Schnell schlängelten wir uns hoch in die Berge, wo die Straße an der Talwand entlangführte, während auf unserer Seite es steil zu kleinen tiefblauen Strömen hinabging. Kurvige Straßen, Tunnels, die an Postapokalyptik erinnerten, und Brücken, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie mehr Dekoration als Infrastruktur sind.
Die von mir anvisierte Fußgänger-Hängebbrücke über einen dieser Bäche existierte zu meinem Bedauern nicht mehr in einer begehbaren Form. Wie im Film hingen die Dielen gebogen und morsch in unregemläßigen Abständen, während in der Mitte der Brücke ein gigantisches Loch auf den geneigten Fußgänger wartete. Letztlich fanden wir an anderer Stelle zum Glück eine stabile Brücke – auch wenn bellende Straßenhunde uns skeptisch beäugten. Hier konnte ich meinen Adrenalinkick bekommen, bevor es zurück ins Auto ging.
Weiter fuhren wir über Landstraßen, die eher einer Safari als einer Straße glichen: Ziegen, Schafe, Kühe und sogar ein paar Schweine, dazu unzählige Hunde, Hühner und Katzen sorgten für Unterhaltung.
Nach 36 Kilometer und ca. zwei Stunden Abenteuerfahrt erreichte wir Borrel, eine kleine Stadt mit sowjetischem Landstadt-Charme. Dort parkten wir auf dem „Marktplatz“ – eine halbgeflasterte Kreuzung, auf der ein gelangweilter Bauarbeiter alleine ab und zu einzelne Pflastersteine an den richten Platz schob, bevor das nächste Fahrzeug seine Arbeit sofort wieder zunichte machte.
Nach einem kleinen Spaziergang in der Stadt bekamen wir den Eindruck, dass Borrel tatsächlich nicht viel zu bieten hat. Wir fanden ein kleines lokales Restaurant, in dem man erst die Tochter anrufen und herzitieren musste, um unsere Bestellung auf Englisch aufzunehmen. Dort genossen wir deftiges Essen auf einer Terrasse bei gemütlichen 10 Grad und Sonnenuntergang. Zwei Hauptgerichte, eine Cola und viel Tee für unschlagbare 12 Euro.
Zurück wollte ich die Route zur angeblich netten Kleinstadt Kruja schließen. So verließen wir die Stadt in Richtung Süden und fuhren weiter höher in die Berge. Nach ca. 8 Kilometern dann die Überraschung: Die Straße ging über von Teer zu Schotter und wurde zu einem schmalen Weg von Gipfel zu Gipfel. Der kleine Mini-SUV hatte zusehends mit Grip zu kämpfen und die ansetzende Dämmerung bereitete mir ein stärker werdendes mulmiges Gefühl.
Schnell war die Entscheidung getroffen auf dem Absatz umzukehren und die bereits bekannte, weitestgehend befestigte Route zurück zu nehmen.
Die Verkehrssituation bei der Einfahrt nach Tirana war auch an diesem Abend so schlecht wie die Zeit davor auch. Die Art des Verkehrs ist eigen: Fahrer schaffen sich spontan neue Fahrspuren, hupen gehörte zur Alltagskommunikation, und Rettungsfahrzeuge mussten oft kreativ navigieren. Auch nach Fahrten in vielen chaotischen Ländern dieser Welt hatte Tirana ein ganz eigenes Chaos fürsich, welches die Navigation sogar noch unmöglicher machte.
Alles in Allem war die Rückreise nicht ideal, aber mit viel Musik im Auto überlebten wir auch diesen Teil.
Letzter Tag und Fazit
Unser Rückflug am Dienstag wurde leider durch die Airline um zwei Stunden nach vorne verlegt, was auf einem nutzbaren Tag einen ruhigen Vormittag machte. Ein letztes Frühstück im Sophie Cafe, ein letztes Panini und der Genuss eines Cappuchinos – dann ging es zum Flughafen.
Albanien ist ein Land, das Kontraste vereint. Westliche Kaffeekultur, moderne Architektur, tolles Essen und Chaos, Lärm und viel Egoismus. Für mich war die Miete eines Autos wieder der perfekte Weg die Gegend zu erkunden: Vom Strand zu den Bergen, dichte Hauptstadt raus aufs Land. Mit diesen kurzen und doch tiefen Eindrücken konnte ich in den Flieger steigen und fühlte mich, als hätte ich wenigstens ein gutes Gesamtbild bekommen können.
Albanien bietet Abenteuer, Entspannung und die perfekte Mischung aus Chaos und Charme. Für mich war es definitiv nicht das letzte Mal, dass ich diesen faszinierenden Teil des Balkans bereist habe.
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